Seit der Revolution bemüht der mexikanische Staat Mythen der Landesgeschichte und die Glorifizierung von Nationalhelden und indigenen Hochkulturen zur Stiftung einer nationalen Identität. Das so in breiten Schichten entstandene undifferenzierte, klischeehafte und patriotische Geschichtsverständnis steht in deutlichem Widerspruch zur politischen und gesellschaftlichen Realität des Landes.
Unabhängigkeitstag 16.09.1810
Staatsoberhaupt/Regierungschef Andrés Manuel López Obrador
Politisches System Präsidialrepublik, Mehrparteiensystem
Demokratie Status-Index (BTI) 6,1 / Rang 57 von 129 (2018)
Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) Rang 138 von 180 (2018)
Geschichte
Die vielen Zeitzeugnisse der spannenden Geschichte Mexikos laden heute auf Schritt und Tritt ein, sich in die verschiedenen Epochen der Entwicklung des Landes zu vertiefen und sich grundlegend damit zu befassen.
Besonderheiten der Landesgeschichte
Seit der Revolution bedient sich der mexikanische Staat an Symbolen aus der Landesgeschichte und kreiert und propagiert Mythen, um eine nationale Identität zu stiften. Die verschiedenen indianischen Hochkulturen werden mit der Kolonialzeit, dem Unabhängigkeitskrieg, der Revolution, dem Demokratisierungsprozess und dem Eintritt in die Moderne auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner der Mexikanität verschmolzen.
Dies führt bis heute in breiten Schichten zu einem undifferenzierten, klischeehaften und patriotischen Geschichtsverständnis.
Historische Epochen
Die vorkoloniale Zeit, die mit der Eroberung Mexikos durch Spanien endet, kann in drei Epochen untergliedert werden: Präklassik (2500 v. Chr. – 200 n. Chr.), Klassik (200 n. Chr.-1100 n. Chr.) und Postklassik (1100-1519 n. Chr.).
Kulturen der Präklassik: Olmeca, Zapoteca
Kulturen der Klassik: Teotihuacán, Maya, Tolteca, Mixteca
Kulturen der Postklassik: Náhuatl (Azteken), Tarasca
Prähispanische Epoche
Die Hochkulturen der vorkolonialen Zeit weisen viele Gemeinsamkeiten bezüglich ihrer gesellschaftlichen Organisation, Weltanschauung, Religion, Kunst, Wirtschaft, Architektur und Städtebau auf. In der Architektur ist die Errichtung von Pyramiden-ähnlichen Tempeln bemerkenswert. Prägend ist außerdem der Anbau von Mais als wichtigstem Nahrungsmittel in der ganzen Region. Erste Hinweise auf Maiszucht und Nutzung als Kulturpflanze sind bereits für ca. 9000 v. u. Z. nachgewiesen. Götter wie Quetzalcóatl oder Tlaloc, die über Jahrhunderte in verschiedenen Hochkulturen eine wichtige Rolle spielten, haben bis heute in der Symbolik Mexikos ihren Platz. Eine erste gewaltsame, kulturelle Verschmelzung der Region zwischen dem heutigen nördlichen Zentralmexiko und Mittelamerika (sog. Mesoamerika) wurde durch die Azteken, oft mit übermäßiger Gewalt, durchgesetzt. Varietäten der Sprache der Azteken, Mexica oder Náhuatl, werden bis heute in Mexiko und El Salvador gesprochen.
Eroberung und koloniale Epoche
Die blutige Eroberung der Region durch die Spanier von 1517 bis 1521 konnte nur mit der Unterstützung von indigenen Völkern, die die Gewaltherrschaft der Azteken ablehnten, vollzogen werden. Die Ankunft der Spanier setzte ein neues wirtschaftspolitisches Verwaltungssystem, neue Gesellschaftsstrukturen, eine neue Religion und eine kulturelle Verschmelzung durch. Das für die prähispanischen Kulturen unbekannte Konzept des „Grundbesitzes“ wurde neu eingeführt. Aufgrund der gewaltsamen Erzwingung neuer Herrschaftsstrukturen und eines neuen Glaubens, aber auch der Einführung neuer Krankheiten, wurde die indigene Bevölkerung in wenigen Jahren auf die Hälfte reduziert.
Wichtige, eindrucksvolle Zeitzeugen der Eroberung und der Gründung des Vizekönigreichs von „Neuspanien“ sind die Schriften von Fray Bernardino de Sahagún und Bernal Díaz del Castillo. Im Vizekönigreich Neuspanien führten die Spanier eine Art rassistischer Klassengesellschaft ein, die ihnen garantierte, im Wesentlichen unter sich zu bleiben. Es wurde unterschieden zwischen Spaniern, die direkt aus Spanien kamen (Peninsulares), Spaniern, die im Vizekönigreich geboren wurden (Criollos), Nachkömmlingen der Verbindung zwischen Spaniern und Indígenas (Mestizos) und indigenen Völkern (Indígenas).
Unabhängigkeit
Beeinflusst durch die französische Revolution und die Unabhängigkeit der USA leiteten die Criollos die Unabhängigkeit von Spanien im Jahr 1810 ein. Miguel Hidalgo y Costilla (heute bekannt als “el padre de la Patria”) rief im Morgengrauen des 16. September 1810 mit dem sogenannten «Grito de Dolores» oder «Grito de la Independencia» (Schrei der Unabhängigkeit) zum Kampf gegen die spanische Krone auf. Noch heute wird der mexikanische Unabhängigkeitstag mit einem symbolischen Schrei des amtierenden Präsidenten eingeleitet. Hidalgos Schüler und Nachfolger José María Morelos y Pavón (auch «el Rayo del Sur» genannt) eroberte mehrere südliche Staaten und schrieb den ersten Verfassungsentwurf.
Weder Hidalgo noch Morelos haben das Ende der Unabhängigkeit Mexikos 1821 von der spanischen Krone erlebt. Während dieses Kriegs starben 800.000 Menschen. Die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit Spaniens blieb Mexiko eine Monarchie, die von Kaiser Agustín de Iturbide, einem ehemaligen Royalisten, regiert wurde. Eine föderale Republik mit einer eigenen Verfassung, wie sie heute besteht, wurde erst 1824 ausgerufen.
Von 1824 bis 1861 herrschten Chaos und Instabilität. Mexiko hatte während dieser Zeit zwischen Konservativen und Liberalen 27 wechselnde Präsidenten.
Veränderungen im Staatsgebiet
Schon 1823 führten Unabhängigkeitsbestrebungen im Süden zur Abspaltung des Gebiets von Guatemala. Die USA profitierte von der politischen Ungewissheit und Gier der Machthaber: zwischen 1835 und 1848 verlor Mexiko die heutigen Staaten von Texas, Kalifornien, New Mexico, Arizona, Nevada, Utah und Colorado, alle Gebiete die nördlich des Río Grande liegen.
Gründung und Fall des neuen kaiserlichen Imperiums
Der am meisten verehrte und einzige indigene Präsident Mexikos war der liberale Benito Juárez, der 1858 gewählt wurde und bis 1872 immer wieder als Präsident regierte. Juárez, ein ehemaliger Zapoteca Hirte aus Oaxaca, führte starke liberale Reformen durch, die dazu führten, dass die Konservativen mit Unterstützung von Europa seine Entmachtung anstrebten. Mit dem Vorwand, Mexiko zahle seine Schulden nicht, besetzten Frankreich, Spanien und das Vereinigten Königreich das Land und setzten den österreichischen Prinzen Maximilian von Habsburg als Kaiser von Mexiko ein. Die erzkonservative, katholische, politische Klasse Mexikos wurde von Maximilians liberalen Ansichten enttäuscht. Die europäischen Mächte entzogen schließlich ihre Unterstützung. Die USA halfen Benito Juárez den Krieg zu gewinnen, was 1867 mit der Erschießung Maximilians gelang.
1876 wurde Porfirio Díaz, ein ehemaliger General, der für Benito Juárez gegen die Franzosen gekämpft hatte, zum Präsidenten gewählt. Mit einer kurzen Unterbrechung regierte er mit diktatorischer Hand das Land, bis die Revolution 1910 ausbrach. Seine rücksichtslose Industrialisierungs- und Modernisierungspolitik, und der Erhalt des sozialen Friedens durch Einsatz des Militärs spalteten das Land und verschärften die soziale Ungleichheit.
Die mexikanische Revolution von 1910
Die Revolution von 1910 war nur deshalb aussichtsreich, weil sie gleichzeitig von mehreren Seiten unterstützt wurde: im Norden durch den Abenteurer Pancho Villa (mit der División del Norte), im Süden vom Bauernführer Emiliano Zapata (mit dem Ejército del Sur), auf der bürgerlichen Seite von Francisco I. Madero. Die im Exil lebenden Brüder Flores Magón hatten bereits aus den USA für den intellektuellen Zündstoff gesorgt. Der Diktator Díaz floh nach Paris ins Exil.
1917 tritt eine neue Verfassung in Kraft, die unter anderem eine Landreform, bzw. eine Landumverteilung zu Gunsten der Bauernschaft einleitet. Die Kirche, stellvertretend für die Interessen konservativer Großgrundbesitzer, ruft zum Widerstand auf. Die dreijährige katholische Konterrevolution (La Guerra de Cristeros), die von 1926 bis 1929 andauerte forderte zehntausende Menschenleben.
Die Interessen aller revolutionären Flügel konnten in den Folgejahren nach der Revolution nicht in Einklang gebracht werden und die internen Streitigkeiten hielten das Land in ständiger Unruhe, bis 1929 die PNR (Nationale Revolutionäre Partei), die sich 1946 in PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) umbenannte, die Fäden in die Hand nahm und ein neues Gesellschaftsmodell konsolidierte.
Konsolidierung des Einparteiensystems
Präsident Lázaro Cárdenas (1934-1940) setzte einige Forderungen der Revolution um, indem er ein Zehntel des Staatsgebietes nationalisierte und an landlose Bauern verteilte. Er verstaatlichte das Erdöl, das sich in den Händen ausländischer Konzerne befand, unterstützte die Bildung von Gewerkschaften. Er förderte die Bildung von Körperschaften in allen gesellschaftspolitisch relevanten Sektoren. In den folgenden Jahrzehnten dienten von öffentlicher Hand dirigierte Dachverbände zur Kontrolle der Industriearbeiter, der Bauern- und Lehrerschaft. Die PRI hatte somit die Kontrolle des öffentlichen Lebens in der Hand. Mexiko hatte de facto ein Einparteiensystem, in dem der Präsident alle sechs Jahre per Fingerzeig seinen Nachfolger bestimmte. Mit Widerspruch vom Kongress oder der Bevölkerung war nicht zu rechnen, da die Gewaltenteilung de facto nicht funktionierte.
Bestrebungen von Oppositionellen zur Besserstellung der Arbeiterklasse und der Landarbeiter wurden während der Regentschaft der PRI nicht geduldet und sofort mit Gewalt niedergeworfen. Das autoritäre, repressive Regime ließ unzählige Menschen gewaltsam verschwinden. Im Gegensatz zu vielen anderen lateinamerikanischen Ländern herrschte in Mexiko in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zwar keine Militärdiktatur, jedoch wird das Regime der PRI als sogenannte Dictablanda («weiche Diktatur») bezeichnet.
Bereits 1965 ist die Präsenz von linksorientierten Guerillas, die bis heute mal mehr mal weniger in Erscheinung treten, dokumentiert. Studentendemonstrationen (1968, 1971) wurden brutal niedergeschlagen. Der jahrzehntelange Machterhalt der PRI wurde durch das importsubstituierende Wirtschaftssystem beflügelt. Der Einfluss des Auslands auf Inlandsbelange reduzierte sich auf sehr geregelte Wirtschaftsbeziehungen. Erst durch die Ölkrisen ab 1976 und die Unfähigkeit 1982 die Auslandsschulden zu tilgen, wurde das Wirtschaftssystem hin zu einer Exportorientierung umgewandelt. Eine Öffnung, nicht nur in Wirtschaftsaspekten, sondern auch in sozialpolitischen Belangen, wurde eingeleitet. Das Parteiensystem wurde modernisiert.
Zivilgesellschaft, Aufstand in Chiapas und politische Öffnung
Im Regenwald des südlichen Bundesstaates Chiapas wurde 1983 von linksorientierten Intellektuellen, Stadtguerrilleros und Indigenenführern das „Zapatistische Heer der Nationalen Befreiung“ (Ejército Zapatista de Liberación Nacional oder EZLN) gegründet, das erst elf Jahre später in der Öffentlichkeit auftrat. Als am 1. Januar 1994 der Freihandelsvertrag mit den USA und Canada, bekannt als NAFTA, in Kraft trat, besetzte die EZLN fünf Bezirkshauptstädte des Bundesstaates Chiapas. Der militärische Einsatz der Regierung ließ nicht auf sich warten, wurde jedoch im Februar mit einem Waffenstillstand und Erstgesprächen zwischen Vertretern von Regierung und EZLN beendet. Die Bestrebungen der EZLN, die Selbstbestimmung der indigenen Völker durchzusetzen, wurden entgegen des 2001 ausgehandelten Gesetzentwurfs nur in sehr abgemilderter Form in die Verfassung aufgenommen.
Auftakt des Demokratisierungsprozesses
Unabhängige Parteien bildeten sich trotz politischer Hindernisse langsam heraus. Der rechtskonservativen PAN (Partei der Nationalen Aktion) gelang es erst 1997 die Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Jahr 2000 mit Vicente Fox Quesada die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
Die inzwischen „Mitte-Links-Partei“ der Demokratischen Revolution PRD ging aus der Verschmelzung mehrerer kleiner, linker Parteien und enttäuschter PRI-Politiker hervor. Von 1997 bis 2018 stellte die PRD den Bürgermeister von Mexiko Stadt. Andrés Manuel López Obrador, der amtierende Präsident Mexikos, legte dieses Amt 2005 nieder, um für die Präsidentschaftswahlen 2006 kandidieren zu können. Offiziellen Rechnungen zufolge unterlag die PRD bei diesen Wahlen dem PAN-Kandidaten Felipe Calderón Hinojosa um einen halben Prozentpunkt. Obwohl der Vorwurf des Wahlbetrugs im Raum stand, wurde der Forderung einer erneuten Stimmenauszählung nicht statt gegeben.
Das Ansehen und die Popularität von Präsident Calderón und der PAN sank mit dem begonnenen Drogenkrieg rapide, was sich in der Wahlniederlage der PAN ausdrückte. Nach zwei, für die Bevölkerung in vielerlei Hinsicht enttäuschenden PAN-Präsidentschaften wurde im Juli 2012 der PRI- Kandidat Enrique Peña Nieto mit 38% der Stimmen gewählt. Er trat sein Amt am 1. Dezember 2012 an. Wie bereits im Jahr 2006, warf die linke Opposition Wahlbetrug vor.
Im Rahmen dieser Wahl bildete sich eine neue Studentenbewegung, die vordergründig gegen Enrique Peña Nieto und für eine Demokratisierung der mexikanischen Medienlandschaft eintrat, und sich ebenfalls für die Neuauszählung der Stimmzettel einsetzte. Die Bewegung nannte sich #yosoy132.
2014 wurde die 2010 gegründete, links orientierte Gruppierung MORENA (Bewegung der nationalen Regenerierung) als Partei zugelassen. Ihr Präsidentschaftskandidat Andrés Manuel López Obrador gewann die Wahl 2018 mit über 50 Prozent der Stimmen. Er trat das Präsidentschaftsamt am 1. Dezember 2018 an.
Drogenkrieg
Mit dem Ziel, den seit Mitte der 1990er Jahre wachsenden Drogenhandel zu beenden, entsendete Felipe Calderón kurz nach seinem Amtsantritt 2006 das Militär in mehrere Städte. Es stellte sich bald heraus, dass hochrangige Militärs und Teile der Polizei mit in die Drogengeschäfte verwickelt waren und von ihnen profitierten. Der offiziell im Jahr 2006 begonnene Drogenkrieg zwischen Militär, Polizei und Kartellen, aber auch zwischen den Drogenkartellen untereinander um die Beherrschung des Drogenmarkts, hat bisher mehr als 100.000 Menschenleben gefordert. Die Zahlen steigen stetig, was zu vermehrten Protesten der Opferangehörigen gegen den Drogenkrieg geführt hat.
Weitere Ausführungen zum Thema Drogenkrieg sind im Abschnitt Innenpolitische Themen ausgeführt.
Chronologien / Zeittafeln
Die im folgenden verlinkte Zeittafel informiert über die wesentlichen historischen Epochen, und einen ausführlichen Überblick über die Geschichte gibt die Schlagwortsammlung mit entsprechenden weiterführenden Informationen und Links.
Der Urheber dieser Texte ist Carlos A. Pérez Ricart, geboren 1987 in Mexiko Stadt. Er forschte an der Freien Universität Berlin, machte Station in Oxford und beschäftigte sich dort mit Drogenpolitik, bevor er nach Mexiko zurückkehrte. Ich habe ihn per E-Mail kontaktiert und vorher die Übernahme von Texten mit der GIZ besprochen. Einst waren die Inhalte Teil des Länderportals.